Künstler und
Künstlerinnen beobachten mit schöpferischem Auge die Welt, und ihre Werke
zeigen uns jenen Ausschnitt, der sie am meisten berührt und beschäftigt. In der
Ausstellung „Spectator Naturae“ kommen fünf Künstlerinnen aus Liechtenstein zu
Wort, die sich auf je unterschiedliche Weise als Beobachter ins Verhältnis zur
Natur setzen. Wenn das Geschaute sich visualisiert, so geschieht das mal
abbildhaft, mal abstrakt, mal unmittelbar, mal mittelbar.
Die von Barbara Geyer gezeigten
Werke aus den Zeichenserien „Rhizom“ und „Aus-Zeit“ entstehen einerseits aus
der Beobachtung der Natur, andererseits aber auch aus der Gewissheit, dass
alles Lebendige transformatorischen Prozessen unterliegt. Diese Prozesse zu
untersuchen und in eine künstlerische Form zu übertragen, ist in allen ihren
Werken und Installationen spürbar. Beide Zeichnungsserien sind abstrakt,
erinnern aber an biomorphe Strukturen. Die frühere Serie „Rhizom“ wirkt wie ein
komplexes verwurzeltes Geflecht lebendiger Formen, die sich unendlich
auszudehnen und zu durchdringen scheinen. Die Serie der teilweise wissenschaftlich
anmutenden, aktuellen „Aus-Zeit“-Graphitzeichnungen stellen eine
Weiterentwicklung dar und stehen – wie bereits die „Rhizom“-Blätter – miteinander
in räumlich-dynamischen Beziehungen.
In ihrer Werkserie „Grundstücke“ beschäftigt sich Regina
Marxer zunächst mit der Eigendynamik und Gesetzmäßigkeit der Bild
konstituierenden Materialien. Vor allem widmet sie ihre Aufmerksamkeit dem
Grund des Werkes, der Grundierung, die in der Regel eine eher untergeordnete
Rolle im Entstehungsprozess von Malerei spielt. Dabei beobachtet sie, wie
Leinwand und Grundierung einen lebendigen Körper bilden, dessen Eigenschaft und
Bedeutung meist im Hintergrund steht. Diese Lebendigkeit des materiellen
Urgrundes eines Bildes mit all seinen Unwägbarkeiten des Grundierungsprozesses
macht sie schliesslich anschaulich durch eine geduldige, zeitintensive
Überzeichnung des „Weiss in Weiss“ mit Graphitstift. So entsteht eine
Archäologie des Grundes, die bisweilen auch an Landschaftliches oder
Atmosphärisches denken lässt, an Wolkenformationen oder kosmisches Rauschen etwa.
Und selbst wenn es der Künstlerin in erster Linie um einen eher konzeptuellen
Ansatz und die Auseinandersetzung mit dem Material gehen mag, hat der gesamte
Entstehungsprozess doch auch etwas Grundlegendes, das an das Schöpferische im
Allgemeinen denken lässt.
Hanni Schierscher indessen konfrontiert uns mit ihren
sensiblen Zeichnungen, die abstrakt gedacht sind, den Betrachter aber
gleichwohl „ zu erinnerndem Nachdenken“ anregen, „als würde Bekanntes wieder
erkannt werden, als zeichneten sich übergeordnete physikalische Regeln und
Erscheinungen in ihnen ab“, wie es Axel Jablonski formuliert hat. Tauchen
Erinnerungen an Landschaftliches auf, eine bizarre Baumreihe, Flussmündungen,
pflanzliche Strukturen oder atmosphärische Stimmungen, dann lässt die Künstlerin
dies geschehen, sie überlässt sich dem Fluss der Dinge, dem Werden und Wirken
des Materials, des japanischen Papiers und der Fluidität von Tusche und Tinte.
Angesichts des Werks von Sunhild Wollwage fällt die
Konsequenz auf, mit der sie seit Jahrzehnten in zeitintensiven
Gestaltungsprozessen Naturmaterialien seriell anordnet. Von zentraler Bedeutung sind die „Nahaufnahme“ benannten Werke,
die sich wie ein roter Faden durch ihr Oeuvre ziehen. Diese „Nahaufnahmen“ bilden
sensible Anstösse zur Innerlichkeit, zur Wachsamkeit für das Unscheinbare.
Kleinste Naturelemente werden in präziser serieller Reihung auf den jeweiligen
Bildträger gesetzt, auf winzigen Etiketten oder in Wachs konserviert. Zuletzt
sind es Erden und Pollen, aus denen fast malerische Kompositionen entstehen.
Äusserst konsequent verfolgt auch Carol Wyss seit Jahren
ihre von naturwissenschaftlichen Überlegungen motivierten Untersuchungen, zu
denen auch die ausgestellten „Blumen“-Motive zählen. Es geht dabei um
Transformierung und Verfremdung von natürlichen Materialien, in erster Linie um
menschliche Knochen, deren Morphologie sie untersucht und in gänzlich neue
Zusammenhänge stellt. Als habe alles Lebendige im Ursprung einen identischen
genetischen Code, beobachtet die Künstlerin in den Strukturen menschlicher
Knochen Analogien zur Erdoberfläche ebenso wie zu vegetabilen Erscheinungen.
Mit ihren pflanzlichen Motiven der Serie „In to the Wild“ gewann sie 2012 den
John Ruskin Preis.